Das tapfere Scheiderlein
Das tapfere Schneiderlein ist sympathischer geworden
EditionSee-Igel UteKleeberg hat das Grimmsche Märchen überarbeitet;
erzählt wird es von Ulrich Noethen mit Musik.
Reutlingen/Iznang. Alle Jahre
wieder bringt Ute Kleeberg zur
Weihnachtszeit in ihrer mehrfach
prämierten Edition See-Igel eine
CD mit Klassik für Kinder heraus
und präsentiert das musikalische
Märchen in Reutlingen in der
Stadthalle. Dieses Jahr fällt das
Familienkonzert – wie zuvor der
Musikalisch-Literarische Salon –
coronabedingt aus. Jetzt ist
„Das tapfere Schneiderlein“ erschienen
und soll Kindern in dieser
ganz anderen Weihnachtszeit
Mutmachen.
Eigentlich, erzählt Ute Kleeberg
am Telefon, habe sie das
Schneiderlein im Grimmschen
Original gar nicht gemocht. „Ein
griesgrämiger Typ“, der eine arme
Bauersfrau die Treppe hochkommen
lässt, um ihr dann eine
winzige Menge Mus abzukaufen:
„Das ist doch blöd.“ Auch ansonsten
legt das Schneiderlein wenig
Empathie an den Tag. Den Vogel,
der ihm beim Kräftemessen mit
dem Riesen einen so guten Dienst
erweisen wird, steckt er achtlos in
die Tasche. In Kleebergs Fassung
hilft das Schneiderlein dem Vogel
aus Mitleid. Und ihr Schneider
kauft der Bauersfrau reichlich
Pflaumenmus ab, um es sich dann
genüsslich „fingerdick“ aufs Brot
zu schmieren. Kleeberg, die immer
wieder mit liebevollen Details
überrascht, liefert das Rezept
auf der CD gleich mit – natürlich
mit Pflaumen vom Bodensee, wo
sie mittlerweile mit ihrem Mann,
dem Musiker Uwe Stoffel, wohnt.
Natürlich erledigt auch Kleebergs
braves Schneiderlein sieben
naschhafte Fliegen auf einen
Streich und ist mächtig stolz: „Die
ganze Welt soll’s erfahren!“ Doch
das Schneiderlein, das zwar Freude
an seinem Handwerk hat, aber
schlecht bezahlt wird und zu wenig
Aufträge erhält, plagen eben
auch existentielle Gründe für seinen
Aufbruch. „Mit Rücksichtnahme
und Nächstenliebe“, sagt
Kleeberg, mache er sich auf den
Weg. Ihr tapferes Schneiderlein
ist sympathischer als das Original,
aber wie bei Grimm lautet auch
ihre Botschaft: „Mit Zuversicht
kann man Berge versetzen.“
Wieder einmal konnte Kleeberg
den bekannten Schauspieler
Ulrich Noethen als Erzähler gewinnen
– und der interpretiert
den zauberhaften Text mit so
viel Humor, als würde er ihn
den eigenen Kindern auf dem
Sofa vorlesen. Dem Schneiderlein
gibt er eine helle, optimistische
Stimme. Schwerfällig keuchen
und schnaufen die tumben
Riesen, den hochnäsigen König
lässt er näseln.
Kammermusikalisch kongenial
begleitet wird das Schneiderlein
bei seinen Abenteuern von
Albert Holder (Fagott) sowie
Uwe Stoffel (Klarinette) und
Kurt Berger (Klarinette). Zwei
Divertimenti Mozarts bilden des
Schneiderleins Wanderung und
die Ankunft im Schloss ab. Kaum
hat sich das Schneiderlein aber
an das Leben an Hof gewöhnt, intrigieren
die Neider aus dem Hofstaat
mit „übler Nachrede“ beim
König gegen den Emporkömmling.
Nicht ohne Erfolg: „Denn
gegen falsches Wort ist kein
Kraut gewachsen.“ Auch hier hat
Kleeberg die Geschichte sensibel
etwas aktualisiert.
Seine Mutproben, die er nun
bestehen muss, um die Hand der
Prinzessin zu erhalten – gewinnen
muss er die Gunst der selbstbewussten
Prinzessin nicht, denn
die hat sich (anders als im Original)
längst in ihn verliebt –, begleiten
Musikstücke des Franzosen
Charles Koechlin: Die Lichtung,
auf der die Riesen schnarchen,
der dunkle Wald, in dem
Einhorn und Wildschwein ihr
Unwesen treiben, nehmen durch
die Musik eindrücklich Gestalt
an. Und jetzt macht es Noethen
richtig spannend. „Nach kurzer
Zeit konnte er das Wildschwein
riechen, aber das Schwein roch
ihn auch.“ Musik setzt ein, und
man fiebert mit dem Schneiderlein
mit.
Selbstverständlich gibt es
auch bei Ute Kleeberg ein Happy
End – musikalisch eingeleitet mit
einer Romanze von Ignaz Pleyel.
Und zum Schluss gesteht das
tapfere Schneiderlein seiner Gemahlin
noch ehrlich, „aus welcher
Gasse“ er kommt. Er erzählt
ihr die Geschichte seiner wahren
Herkunft. Und siehe da: „Die Prinzessin
zeigte sich sehr erfreut, dass
ihr Mann kein großer Kriegsheld,
sondern ein guter Handwerker
war. Das gefiel ihr sogar viel besser.“
Das Schneiderlein aber war so
froh darüber, dass es sein Nähzeug
hervorholte und ihr ein wunderschönes
Kleidnähte.
Uschi Kurz
Schwäbisches Tagblatt / Südwestpresse
16.Dezember 2020
Info Die Klassik-CD „Das tapfere Schneiderlein“
wird für Menschen ab fünf Jahren
empfohlen und hat eineGesamtspielzeit
von 68 Minuten.
Sie ist in der Edition See-Igel erschienen
und kostet 15,50 Euro.