Das kalte Herz
Konzert – Erster »Musikalisch-literarischer Salon« in der Stadthalle mit dem »Kalten Herz« von Wilhelm Hauff
Klangsphäre der Waldgeister
VON ARMIN KNAUER
REUTLINGEN . Eben noch sind sanfte Holzbläserharmonien durch den kleinen Saal der Stadthalle geweht, doch nun knarrt und kracht es aus allerlei Schlagwerk: Gegensätzliche Klangsphären prallen am Freitagabend in der ersten Ausgabe des »Musikalisch-literarischen Salons« aufeinander – die der polternden Waldgeister hier und die der zarten Emotionen dort. Denn der Auftakt der von Ute Kleeberg und Uwe Stoffel geleiteten Reihe führt in Wilhelm Hauffs Märchen vom »Kalten Herz«. Mit ihrer preisgekrönten »Edition See-Igel« sind Kleeberg und Stoffel ja schon lange Spezialisten für das Verbinden von Wort und Klang – zunächst meist für Kinder. Doch dieser Abend wendet sich an Erwachsene.
Es geht ums Holz
Es geht in den Schwarzwald und alles dreht sich um Holz, wie passend in diesem mit Holz ausgekleideten Saal. Es geht um die Welt der Holzfäller, Köhler, Flößer, und auch die Instrumente sind aus Holz: die Klarinetten von Uwe Stoffel und Frank Bunselmeyer, das Fagott von Berker Sen. Ihr Klang lässt das Naturhafte mitschwingen, auch wenn die meist sanft dahinwogenden Stücke von Mozart, Pleyel oder Charles Koechlin hier die menschliche Sphäre verkörpern.
Erzähler ist Christian Brückner, bekannt als Synchronstimme Robert De Niros, und auch seinem dunkel angerauten Timbre wohnt etwas Naturhaftes inne. Sagenhaft, wie er sich in die Geschichte des jungen Köhlers Peter Munk vertieft, den es zu Glanz, Geltung, Reichtum drängt – und der dafür bei dem unheimlichen Holländer-Michel sein Herz gegen einen Stein eintauscht. Brückner weiß genau, wo er innehalten muss, damit die Bilder im Kopf entstehen; und er weiß, wo er Gas geben muss, wo Hauffs Sprache das Tempo des Erzählens braucht. Vor allem aber hat er ein Gefühl für die Atmosphäre dieser Geschichte, diese mit Schatten und steilen Stämmen ausgekleidete Welt, in der das Heimelige und das Unheimliche so nah beieinanderliegt.
Besonders greifbar werden diese Gegensätze in der Musik. Da ist einerseits die menschliche Sphäre, in sanft wogenden Mozart-Divertimenti, in zart dahinwehenden Monodien von Charles Koechlin, in einer Romanze von Ignaz Pleyel eingefangen. Mit erlesener Tonkultur streicheln Stoffel, Bunselmeyer und Sen das aus den Instrumenten. Zwischendurch – für unseren Geschmack eher zu wenig – kommt mit einem elsässischen Bauerntanz oder einem niederländischen Rommelpot die hitzige Tanzboden-Sphäre zu Wort, die bei Hauff so wichtig ist.
Der Holländer-Michel poltert
Und dann die Klänge der Waldgeister, die Edith Salmen aus Schlagwerk und Glasharfe holt. Krachend und polternd charakterisiert sie auf Trommel, Pauke, Klanghölzern und Schepper-Gerät das Treiben des Holländer-Michels, der für die Macht der entfesselten Natur steht. Die Glasharfe, Bündel von Glasröhren, mit der Handfläche gerieben, stehen für die Welt des guten Waldgeistes, des Glasmännleins: mystisch und materielos schweben diese Klänge im Raum.
Der sehr gut besuchte Auftakt der Reihe entpuppte sich als Musterbeispiel, wie man Musik und Literatur verbinden kann. Das Publikum bedankte sich mit viel Beifall – die Blumen überreichte keine andere als Stella Maria Adorf, selbst erlesene Sprecherin in anderen Produktionen der Edition See-Igel. Ihr Großvater, der Filmemacher Paul Verhoeven, hat 1950 eine berühmte Kinofassung von »Das kalte Herz« inszeniert.
Die nächste Ausgabe ist am 15. Dezember mit Ute Kleebergs Geschichte »Das Mondtuch«, dann als Familienkonzert für Erwachsene und Kinder ab sieben mit Musik von Ravel und Ibert, gespielt vom Bläserquintett Aquilon. (GEA)
Armin Knauer Reutlinger Generalanzeiger 26.11.2013