Das kalte Herz
Glück auf Teufel komm raus-Menschen brauchen Märchen.
Salonfähig werden sie auch in der Kunstform, die Ute Kleeberg und Uwe Stoffel kreiert haben und die nun im Kleinen Saal der Stadthalle mit großem Erfolg vorgestellt wurde.
Die musikalisch-literarische „Wintermusik“-Reihe der Stadt hat einen Gefährten bekommen: Nach 25 Jahren Kinderkonzert in der Stadtbibliothek und der erfolgreichen „Edition See-Igel“ wandten sich Ute Kleeberg und Uwe Stoffel mit ihrem ersten „Salon“ an Erwachsene. Der Bedarf ist da, erst vor kurzem lockte der Bad Uracher Musikherbst in „Märchenwelten“. Dort wurde Wilhelm Hauffs Kunstmärchen „Der Zwerg Nase“ – ebenfalls mit Musik – am Eröffnungsabend in voller Länge verlesen.
Nun erneut der „hiesige“ Romantiker Hauff. Diesmal mit „Das kalte Herz“, der an Schwarzwaldsagen angelehnten Erzählung aus dem Jahr 1827. Trifft Hauff (wieder) den Nerv der Zeit? Es geht um das Streben nach Glück auf Teufel komm raus, vorgeführt am Köhlersohn Peter als Jagd nach Reichtum und Geld, das auf einen Pakt mit zwei konkurrierenden Geistern – dem wohlmeinenden Glasmännlein und dem dämonischen, superreichen Holländer-Michel -, auf menschliches Scheitern, Reue und zuletzt auf Selbstbescheidung hinausläuft.
Ute Kleeberg hatte den Text behutsam gestrafft. Das fiel nicht auf, abgesehen davon, dass Peter am Wendepunkt, als er sein Herz zurück haben will, im Original intensiv betet, nun aber dem Bösen nur das Glaskreuz hinhält. Was Kleeberg/Stoffels Märchenbearbeitungen und nun den „Salon“ auszeichnet, ist der hohe Anspruch. Musik und Lesung gehen eine enge innere Verbindung ein: Die sorgsam ausgewählten Kammermusikstücke werden als eigenständige Elemente so in den Erzählverlauf eingebunden, dass sich Wort und Ton gegenseitig erweitern und neue Fantasieräume eröffnen. Gespielt werden sie von veritablen Künstlern, hier nun, musikalisch einfühlsam, von den Klarinettisten Uwe Stoffel und Frank Bunselmeyer, dem Fagottisten Berker Sen und der Perkussionistin Edith Salmen.
Diese hat neben dem Schlagwerk für geisterhaftes Knarzen, Raunen und Krachen das neben der Klarinette wohl romantischste und für dieses Märchen passendste aller Instrumente mitgebracht: eine Glasharfe, aufgebaut aus langen Röhren. Sie tönt in ätherisch schwebenden Harmonien dann, wenn das Glasmännlein erscheint. Die raren Stücke stammen von den Glasharmonika-Komponisten Johann Gottlieb Naumann und Karl Leopold Röllig, die surreale Szene mit den Herzen in Glasgefäßen wird fantastisch in pochende und fließende Klänge übersetzt. Den naiven Peter und seine Sehnsucht nach Glück spiegeln Divertimento-Sätze von Mozart und triviale Volkstanz-Melodien, gespielt von Klarinetten und Fagott. Psychologisch tiefer greifen die Charakterstücke von Charles Koechlin, die feine Zwischentöne und zarte Andeutungen beisteuern – die Musik erzählt immer mit.
Als realer Erzähler war „die Stimme“ engagiert: Christian Brückner, berühmter Synchronsprecher und vielfach ausgezeichneter Hörbuch-Interpret. Er las weniger theatralisch als manch anderer, stets hielt er die Balance zwischen Rezitation und Darstellung. Auf kunstvoll natürliche Weise zog er mit Hauff und dessen gekonnter Charakterisierung von Szenerie und Personal die Zuschauer/Zuhörer hinein ins Geschehen, wobei auch die Hände diskret, doch beredt mitsprachen. Offenbar ließ er sich ein auf die mit der Erzählung gestellte Frage, wo die Grenze der Glückssuche erreicht ist: Da, wo das menschliche Fühlen versteinert. Viel Beifall. Und statt einer Zugabe gabs die Einladung zur offenen Begegnung.
SUSANNE ECKSTEIN | Reutlinger Nachrichten 25.11.2013